Am 30. August 1918 bestärkten zwei Attentate – gegen M.S. Uritzki, den Chef der Petrograder Tscheka, und gegen Lenin – die bolschewistischen Parteiführer in der Ansicht, daß ihre Existenz durch eine ernstzunehmende Verschwörung bedroht sei.
In Wirklichkeit bestand zwischen den beiden Attentaten keinerlei Verbindung. Das Attentat gegen Uritzki wurde von einem jungen Studenten verübt, der seinen Freund – einen wenige Tage zuvor von der Petrograder Tscheka hingerichteten Offizier – rächen wollte, und steht für die populistisch-revolutionäre Tradition in ihrer reinsten Form.
Das Attentat gegen Lenin wurde lange Fanny Kaplan zugeschrieben, einer dem anarchistischen und Sozialrevolutionären Milieu nahestehenden militanten Aktivistin. Sie wurde auf der Stelle verhaftet und ohne Verfahren drei Tage nach dem Vorfall hingerichtet. Heute sieht es eher so aus, als hätte die Tscheka das Ganze bewußt hinter dem Rücken der Verantwortlichen provoziert.
Die bolschewistische Regierung legte die Attentate umgehend den »rechten Sozialrevolutionären, den Knechten des französischen und englischen Imperialismus«, zur Last. Schon am folgenden Tag wurde in Presseartikeln und offiziellen Erklärungen eine Ausweitung des Terrors gefordert:
»Arbeiter«, schrieb die Prawda am 31. August 1918, »die Zeit zur Vernichtung der Bourgeoisie ist gekommen. Ansonsten werdet Ihr von ihr vernichtet werden. Die Städte müssen schonungslos von allen bürgerlichen’ Verwesungserscheinungen gereinigt werden. All diese Herren werden in einer Kartei erfaßt, und diejenigen, die eine Gefahr für die revolutionäre Sache darstellen, werden ausgerottet. […]
Die Hymne der Arbeiterklasse wird ein Lied des Hasses und der Rache sein!«
Aus dem Schwarzbuch des Kommunismus (Stéphane Courtois)
Quellennachweis:
Das Schwarzbuch des Kommunismus
Unterdrückung, Verbrechen und Terror
Autoren:
Stéphane Courtois, Nicolas Werth, Jean-Louis Panné, Andrzej Paczkowski, Karel Bartošek, Jean-Louis Margolin,
Mitarbeit:
Rémi Kauffer, Pierre Rigoulot, Pascal Fontaine, Yves Santamaria, Sylvain Boulouque
Verlag:
Piper Verlag GmbH, München
ISBN:
3-492-04268-6
Mit dem Kapitel “Die Aufarbeitung des Sozialismus in der DDR”
von Joachim Gauck und Ehrhart Neubert
Seite: 88
https://de.wikipedia.org/wiki/St%C3%A9phane_Courtois
https://de.wikipedia.org/wiki/Das_Schwarzbuch_des_Kommunismus
Anmerkung:
Ein Beispiel dafür, wie Ereignisse für politische Zwecke umgedeutet (Re-Framed) werden können. Und wer die Deutungshoheit hat (Prawda), kann diese Narrative ungehindert auch über Jahre oder Jahrzehnte aufrecht erhalten. In diesem Fall werden „Hass und Hetze“ dafür genutzt, um gruppendynamische Prozesse anzustoßen.