[Vortrag] Dr. Hans-Joachim Maaz – Der bedürftige Mensch (2015)

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Dr. Hans-Joachim Maaz
Der bedürftige Mensch – zwischen Selbstoptimierung und Selbstverlust

Die griechische Mythologie erzählt, dass Narziss in sein eigenes Spiegelbild verliebt war. Heute hätte er bestimmt ein Smartphone, würde Selfies von sich machen und die Bilder wie sein Spiegelbild betrachten. Und sie in sozialen Netzwerken teilen, damit auch andere seine Schönheit bewundern können.
Aufmerksamkeit ist eine Online-Währung. Viele Klicks, viele „Gefällt mir“ und Daumen nach oben können eine vermeintliche Beliebtheit oder Bekanntheit andeuten. Ein Traum oder Alptraum für Narzissten?

Dr. Hans-Joachim Maaz beschreibt in seinem Vortrag “Der bedürftige Mensch – zwischen Selbstoptimierung und Selbstverlust” narzisstische Störungen in unserer Gesellschaft und erklärt deren Auswirkungen. Der Vortrag ist eine kurze Zusammenfassung seiner Analyse.

Dr. Hans-Joachim Maaz ist Psychotherapeut, Psychoanalytiker, Autor, Vorsitzender des Choriner Instituts für Tiefenpsychologie und psychosoziale Prävention und war von
1980 bis 2008 Chefarzt der Psychotherapeutischen und Psychosomatischen Klinik im Evangelischen Diakoniewerk Halle.
Der Vortrag wurde am 15.04.2015 bei der Tagung: “Am Puls des Ichs – Unterwegs in eine narzisstische Mediengesellschaft?” im Haus der Katholischen Kirche Stuttgart aufgezeichnet.

Der bedürftige Mensch

“Das Problem dieser Selbstwertstörung liegt darin, dass man das im Grunde nicht aushalten kann.” erklärt Hans-Joachim Maaz den daraus entstehenden Handlungsdruck. Das anhaltende Minderwertigkeitsgefühl in einer Leistungsgesellschaft nicht mehr Gut genug zu sein, setzt Menschen noch mehr unter Stress.
Medien können diese Tendenzen beeinflussen und Prominente mit narzisstischen Störungen können diese negativen Entwicklungen noch weiter verstärken.
Wie lange kann der einzelne Mensch in einer auf ständigen Wachstum basierenden Wirtschaft, in seiner individuellen Produktivität mitwachsen? Was wird aus einer Person, die sich in einem Prozess der permanenten, maximalen Selbstoptimierung befindet? Welche reduzierten Bedürfnisse hat der Mensch dann noch?


Die narzisstische Störung

Die narzisstische Störung ist “abwehrpflichtig” so Hans-Joachim Maaz in seinem Vortrag.

“Die wesentlichen Möglichkeiten narzisstische Probleme zu besänftigen [sind]
betäuben,
ablenken und
kompensation durch besondere Leistungen. […] Einmal durch besondere Anstrengungen und auf der anderen Seite die besondere Hilfsbedürftigkeit.

Aber Betäubung ist ein großes Thema in unserer Gesellschaft. Zum Betäuben ist alles Möglich was den Menschen irgendwie von außen betäubt. Also natürlich Medikamente, Drogen, Alkohol. Aber man kann sich auch mit Arbeit betäuben, man kann sich mit Anstrengung betäuben. Alles was sozusagen dazu dient sich sekundären Stress zu machen, hilft um die primäre innere seelische Not nicht Wahrnehmen zu müssen.”
Hans-Joachim Maaz (2015) [ab: 15min00sek]


“Zur Ablenkung, […] dient natürlich alles was mit den Medien verbunden ist.
Also was uns irgendwie eine Basis schafft, einen Reiz vermittelt mit dem wir uns beschäftigen können. Deshalb haben wir auch so viele Fernsehkanäle. Deshalb benutzen wir den Computer, das Smartphone.”
Hans-Joachim Maaz (2015) [ab: 16min40sek]


Die narzisstische Mediengesellschaft?

2006 haben Mark Young und Drew Pinksy ihre Untersuchung Narcissism and Celebrity im Journal of Research in Personality (October 2006) veröffentlicht.
Sie machten einen psychologischen Test mit 200 Prominenten aus der Unterhaltungsbranche, der Merkmale für eine narzisstische Persönlichkeitsstörung misst (NPI – (Narcissistic Personality Inventory). Sie stellen fest, dass “je mehr echte Fähigkeiten die Stars haben, wie Musiker, desto weniger narzistisch sind sie” [9]. Zu der Untersuchung von Mark Young und Drew Pinksy erschien 2006 ein Artikel auf Telepolis [10] mit folgender Analyse:

Wenn (Medien)Prominenz aber nicht etwas Seltenes ist, sondern zu einer alltäglichen, oft auch nicht mit außergewöhnlichem Können oder Wissen verbundenen Karriere in der Medien- oder Aufmerksamkeitsgesellschaft wird, stehen die Menschen […] zunehmend unter Druck, sich als Versager verstehen zu müssen, weil sie keine oder zu wenig Aufmerksamkeit finden und anonym bleiben. Reality-Formate mögen eine Kompensation sein, obwohl über diese Karrieren kaum einer in den Adel der Aufmerksamkeitsökonomie dauerhaft aufsteigt. Die Versager und Verzweifelten könnten daher mehr und mehr versucht sein, durch bestimmte Taten, die die mediale Aufmerksamkeit wecken, sich zumindest kurzfristig und vielleicht auch um den Preis des eigenen Lebens zu Prominenten zu machen.
Quelle: www.heise.de | 12. September 2006 | Florian Rötzer | Telepolis


Machtpositionen

Dr. Maaz weist auf eine Tendenz hin, dass Menschen mit narzisstischen Störungen häufig in “Machtpositionen” und “Führungsetagen” zu finden sind.
Ein lesenswertes Gespräch mit Hans-Joachim Maaz über Politik und Narzissmus haben Marc Brost und Merlind Theile für DIE ZEIT geführt.

ZEIT: Inwieweit beeinflusst die narzisstische Störung die Politik?

Maaz: Wenn ich als Mensch mit einem narzisstischen Mangel behaftet bin, dann muss ich Möglichkeiten der Kompensation suchen. Und in einer Leistungsgesellschaft ist das eben die besondere Leistung. Dazu gehören auch Einfluss und Macht. Eine Führungsfunktion ist da natürlich großes Futter für den narzisstischen Mangel. Wenn ich Macht ausübe, kann ich das Gefühl haben: Ich bin doch toll! Was ich jetzt bewirken kann! Das kann man auch sehr gut rationalisieren: Wenn man Politik macht, tut man ja etwas fürs Volk, man macht etwas für die Menschen, wie unsere Kanzlerin immer sagt. Das stimmt ja, aber in der Phrase verbirgt sich auch das Geltungsbedürfnis. Und in erster Linie dient so ein politisches Amt der eigenen seelischen Stabilisierung.

ZEIT: Unsere Politiker sind allesamt gestörte Narzissten?

Maaz: Die meisten Politiker treten in einer Art und Weise auf, die ganz klar narzisstisch geprägt ist. Im persönlichen Gespräch sind viele durchaus sorgenvoller, nachdenklicher, selbstkritischer, geben aber auch zu erkennen, dass sie solche Aussagen nicht veröffentlichen dürfen, weil sie dann sozusagen die Parteiinteressen verraten oder als nicht mehr wählbar gelten. Das sagt natürlich auch etwas über die Unmündigkeit der Wähler, die nur jemanden wählen können, der souverän und stark und selbstbewusst wirkt, so als könnte er ihr Leid tatsächlich lindern. Da werden elterliche Defizite als Hoffnung auf die Politiker projiziert.
Quelle: www.zeit.de
Marc Brost | Merlind Theile | 0


Narzissmus als individuelle und systemische Last
Die narzisstische Störung ist abwehrpflichtig und sie generiert typische soziale Konflikte und gesellschaftliche Fehlentwicklungen. Politik sei nahezu narzissmuspflichtig und gestaltet die systemischen Folgen legisalativ und exekutiv aus. (www.dgfs-nrw.de)


Zu dem Thema Narzissten in Machtpositionen ist ein Interview mit dem Schweizer Psychologen Gerhard Dammann über sein Buch “Narzissten, Egomanen, Psychopathen in der Führungsetage” auf spiegel.de erschienen.


Dr. Hans-Joachim Maaz
Der bedürftige Mensch – zwischen Selbstoptimierung und Selbstverlust

“Der bedürftige Mensch – zwischen Selbstoptimierung und Selbstverlust” |
Dr. Hans-Joachim Maaz | 15.04.2015 | Haus der Katholischen Kirche Stuttgart | 
“Am Puls des Ichs – Unterwegs in eine narzisstische Mediengesellschaft?” | 18min58sek


Quellennachweise:

[1]
https://de.wikipedia.org/wiki/Narziss

[2]
https://de.wikipedia.org/wiki/Narzissmus

[3]
https://de.wikipedia.org/wiki/Hans-Joachim_Maaz

[4]
http://www.choriner-institut.de/Maaz/

[5]
http://www.digitale-ethik.de//showcase//2015/01/Flyer-Tagung-Am-Puls-DIN-lang-WEB.pdf

[6]
http://www.digitale-ethik.de/veranstaltungen/am-puls-des-ichs/

[7]
https://en.wikipedia.org/wiki/S._Mark_Young

[8]
Mark Young

[9]
http://www.rp-online.de/panorama/wissen/prominente-ticken-anders-aid-1.2597099

[10]
https://www.heise.de/tp/features/Prominenz-oder-die-narzisstische-Persoenlichkeit-3407826.html

[11]
http://www.zeit.de/2014/18/narzismuss-selbstwertgefuehl-politiker-waehler/komplettansicht

[12]
http://www.dgfs-nrw.de/hans-joachim-maaz0.html

[13]
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-52985329.html


 

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