Das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) ist mit der Sozialministerin Andrea Nahles (SPD) nach ihrer eigenen Aussage nicht zu machen. Und das ist auch völlig in Ordnung. Die wichtigere Frage ist auch: „Wie können wir die Mehrheit der Bevölkerung von der Richtigkeit des Grundeinkommens überzeugen, ohne die Meinungshoheit und die Deutungshoheit zu haben?“ Also ohne die Macht der Presse als katalysatorische Kraft und ohne Einfluss auf das Agenda-Setting der Medien zu haben. Oder anders gefragt, wie bekommen wir die Meinungs- und Deutungshoheit?
Politiker wie Andrea Nahles haben ein Problem, sie müssen durch Wahlen legitimiert werden. Und um eine Wahl zu gewinnen brauchen sie Mehrheiten. Sie werden also immer Ihre Meinung dem Mainstream anpassen, wenn sie selber den Mainstream nicht bestimmen können. Oder um es mit dem Adenauer zugeschriebenen Ausspruch zu sagen: “Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern”.
Die verantwortlichen Politiker werden ihre Fahnen in den Wind hängen, da gibt es keinen Zweifel, denn es liegt in der Natur der Sache. Haben Sie eine Mehrheit gegen sich, werden sie nicht gewählt. Aber um die Mehrheit der Bevölkerung von einem anderen Wertesystem zu überzeugen, einem kulturellen Wandel, braucht es mehr als ein paar einflussreiche Lobbyisten im Bundestag. Und es geht genau darum, zu überzeugen, nicht zu überreden oder zu übergehen.
“Ich bleibe dabei: Dass wir oft an Wahlkampfaussagen gemessen werden, ist nicht gerecht.“
Franz Müntefering, deutscher Politiker (SPD)
Quelle: FAZ 5. September 2006
In dieser Dokumentation der ARD, die unaufgeregt und vielleicht schon etwas zu langsam über das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) berichtet, kommt das attac Mitglied Renate Börger zu Wort. Ihre Betrachtungen über die “Neoliberale Wirtschaft” sind sehr interessant, lassen aber bestimmte Argumente außen vor.
Ein Rückblick auf die letzten dreißig Jahre zeigt doch sehr deutlich, dass eben genau diese wirtschaftlichen Eliten keine positiven Entwicklungen mehr zulassen werden. Der Kampf der Arbeiter dreht sich nur noch um den Erhalt des Status Quo. Keiner Kämpft mehr für Verbesserungen. Die Menschen kämpfen gegen Verschlechterungen. Das ist ein gewaltiger Unterschied, den wohl einige noch nicht ganz durchschaut haben.
Recht hat Frau Börger mit der Aussage, dass mit der heutigen Wirtschaftsordnung, das bedingungslose Grundeinkommen nicht zu machen ist, denn dann würden die Wirtschafts- und Industrieeliten Ihre Druckmittel verlieren. Das Erpressungspotenzial würde sich sofort zu Gunsten der Bevölkerung ändern. Und das ist nicht gewollt. Aber sollte deswegen einfach alles so bleiben wie es ist?
Der Mensch braucht Einkommen, um zu arbeiten. Arbeit müssen wir uns also leisten können.
Auch Prof. Dr. Götz Werner kann in dieser Dokumentation seine Ansichten äußern. Der wohl bekannteste deutsche Fürsprecher des BGE war auch schon in der Dokumentation Grundeinkommen – ein Kulturimpuls zu sehen. Ihm geht es immer wieder um Würde und Freiheit des Menschen.
Das Beispiel aus Namibia zeigt, dass sehr wohl die positiven Aspekte des BGE überwogen haben. Und in der Schweiz wird es 2016 zu einer Abstimmung über das bedingungslose Grundeinkommen geben. Es muss also keine Utopie bleiben. Und es müssen auch keine Einzelfälle bleiben, wie das Beispiel Brasilien zeigt.
“In Brasilien wurden unter Präsident Lula erste Schritte für ein bedingungsloses Grundeinkommen umgesetzt. Zuerst erhielten lediglich die Ärmsten einen geringen Betrag, bis 2010 sollten die Zahlungen auf die gesamte Bevölkerung ausgedehnt werden.
Brasilien hat 2004 als erster Staat das Recht auf ein bedingungsloses Grundeinkommen in die Verfassung aufgenommen. Im Gesetz 10.835/2004 wird das Recht aller Brasilianer auf ein bedingungsloses Grundeinkommen festgelegt. Garantiert wird eine staatliche Leistung für alle Bürger, die mindestens fünf Jahre im Land leben.”
Quelle: wikipedia
Die Dokumentation, die in Zusammenarbeit mit der Katholischen Akademie in Bayern und dem Bayrischen Rundfunk entstanden ist zeigt, dass es ein Interesse in der Bevölkerung gibt, es aber den meisten einfach an Mut fehlt. Das sollte niemanden zum Vorwurf gemacht werden. Wir sollten viel mehr überlegen, wie wir auf diese Menschen zugehen können.
Die Demokratie ist kein Ausdruck der Barmherzigkeit der Herrschenden.
Und sie darf auch nicht von deren Güte abhängig gemacht werden. Und genau wie bei den TTIP Verhandlungen werden Industrie und Wirtschaft alles versuchen, ihre Interessen durchzusetzen. Kampagnen, offene und verdeckte werden den Blätterwald rauschen lassen. Und sollten diese Eliten das BGE nicht verhindern können, so werden sie versuchen es nach ihren Vorstellungen zu „verbessern“.
Die öffentliche Diskussion fokussiert fast immer nur einen der beiden Hauptaspekte, dabei ist es fast unmöglich diese voneinander getrennt zu betrachten. Der humanitäre Aspekt des BGE liegt auf der Hand und der ökologische wird mehr und mehr an Bedeutung gewinnen. Die fortschreitende Technologisierung und Industrialisierung wird die Gesellschaft immer massiver in Zugzwang bringen. Wir müssen uns auf den Verlust von vielen Arbeitsplätzen vorbereiten. Darum ist es wichtig, Arbeit und Einkommen voneinander zu trennen.
Auch Christoph Butterwegge ist, ähnlich wie Frau Renate Börger der Meinung, das BGE würde den Sozialstaat zerstören.
Denn die meisten Befürworter eines Grundeinkommens wollten gleichzeitig die Sozialversicherungen – Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung – abschaffen.
Quelle: br.de
Und auch hier begegnet dem Zuschauer der Dokumentation das gleiche Argument wieder, dass auch bei Frau Renate Börger’s Meinung zum Ausdruck kommt.
“Viel sinnvoller scheint mir zu sein, sich um diejenigen zu kümmern, die es nötig haben, als mit der Gießkanne riesige Summen auszugießen und sie dann möglicherweise über die Steuer wieder einzusammeln.”
Christoph Butterwegge, Politikwissenschaftler an der Universität Köln
Quelle: br.de
Wie schon gesagt, die wahre Utopie ist es zu glauben und zu hoffen, dieses Wirtschaftssystem könnte zu einem humanistischen System verändern werden. Dieser Versuch scheitert seit über 30 Jahren und erzielt im Verhältnis zum Aufwand kaum Fortschritte. Uns begegnet immer häufiger die Formel vom Abbau des Sozialstaates und der Privatisierung der sozialen Aufgaben.
Vielleicht können wir nicht von Menschen, die ihr leben lang für diese Sozialreformen gekämpft haben, erwarten, dass sie sich anderen Konzepten zuwenden können, weil ihr eigener Plan eine lebenswertere Welt zu gestalten gescheitert ist. Schon die Worte “Reichensteuer” und “Erbschaftssteuer” zeigen aber, dass dieser Kampf schon lange gescheitert ist.
Wollen wir nur eine Veränderung des Systems oder wollen wir ein anderes System?
Auch muss gefragt werden, ob Frau Renate Börger für sich oder für attac als Organisation spricht. Das geht leider aus der Dokumentation nicht hervor. Darum hier noch der Hinweis über die Ansichten von attac:
Die AG Genug für Alle setzt sich für ein bedingungsloses Grundeinkommen ein und unterstützt die vier Kriterien, denen sich fast alle BefürworterInnen eines Grundeinkommens angeschlossen haben:
- ohne jegliche Repressionsdrohung – kein Arbeitszwang
- Gewährleistung einer Existenz ohne Armutsbedrohung mit gesellschaftlicher Teilhabe
- der Zahlung liegt ein Rechtsanspruch zugrunde.
- individuell an jeden gezahlt ohne Bedürftigkeitsprüfung
Darüber hinaus vertritt die AG die Forderung, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen an alle Menschen gezahlt werden muss, die hier sind, weil es nicht zweierlei Recht am selben Ort geben darf.
Quelle: http://www.grundeinkommen-attac.de/grundeinkommen/
Lohn ohne Arbeit? Das bedingungslose Grundeinkommen [ARD2012]
https://www.youtube.com/watch?v=mQsheje6ppo
Lohn ohne Arbeit? | Das bedingungslose Grundeinkommen | Annekathrin Wetzel | BRalpha | 2012 | 44:03min | Bayrischer Rundfunk |
in Zusammenarbeit mit der Katholischen Akademie in Bayern