Friedrich Nietzsche über Sozialismus, Tyrannei und Besitz [Zitat]

skynetblog.de - Friedrich Nietzsche

 

„Der Sozialismus – als die zu Ende gedachte Tyrannei der Geringsten und Dümmsten, d. h. der Oberflächlichen, Neidischen und der Drei-viertels-Schauspieler – ist in der Tat die Schlußfolgerung der »modernen Ideen« und ihres latenten Anarchismus; aber in der lauen Luft eines demokratischen Wohlbefindens erschlafft das Vermögen, zu Schlüssen oder gar zum Schluß zu kommen. Man folgt – aber man folgert nicht mehr.

Deshalb ist der Sozialismus im ganzen eine hoffnungslose säuerliche Sache: und nichts ist lustiger anzusehn als der Widerspruch zwischen den giftigen und verzweifelten Gesichtern, welche heute die Sozialisten machen – und von was für erbärmlichen gequetschten Gefühlen legt gar ihr Stil Zeugnis ab! – und dem harmlosen Lämmer-Glück ihrer Hoffnungen und Wünschbarkeiten. Dabei kann es doch an vielen Orten Europas ihrerseits zu gewaltigen Handstreichen und Überfällen kommen: dem nächsten Jahrhundert wird es hie und da gründlich im Leibe »rumoren«, und die Pariser Kommune, welche auch in Deutschland ihre Schutzredner und Fürsprecher hat, war vielleicht nur eine leichtere Unverdaulichkeit gewesen im Vergleich zu dem, was kommt.

Trotzdem wird es immer zu viel Besitzende geben, als daß der Sozialismus mehr bedeuten könnte als einen Krankheits-Anfall: und diese Besitzenden sind wie ein Mann eines Glaubens »man muß etwas besitzen, um etwas zu sein«. Dies aber ist der älteste und gesündeste aller Instinkte: ich würde hinzufügen: »man muß mehr haben wollen, als man hat, um mehr zu werden». So nämlich klingt die Lehre, welche allem, was lebt, durch das Leben selber gepredigt wird: die Moral der Entwicklung. Haben und mehr haben wollen, Wachstum mit einem Wort – das ist das Leben selber.

In der Lehre des Sozialismus versteckt sich schlecht ein »Wille zur Verneinung des Lebens«: es müssen mißratene Menschen oder Rassen sein, welche eine solche Lehre ausdenken. In der Tat, ich wünschte, es würde durch einige große Versuche bewiesen, daß in einer sozialistischen Gesellschaft das Leben sich selber verneint, sich selber die Wurzeln abschneidet. Die Erde ist groß genug und der Mensch immer noch unausgeschöpft genug, als daß mir eine derart praktische Belehrung und demonstratio ad absurdum, selbst wenn sie mit einem ungeheuren Aufwand von Menschenleben gewonnen würde, nicht wünschenswert erscheinen müßte. Immerhin, schon als unruhiger Maulwurf unter dem Boden einer in Dummheit rollenden Gesellschaft wird der Sozialismus etwas Nützliches und Heilsames sein können: er verzögert den »Frieden auf Erden« und die gänzliche Vergutmütigung des demokratischen Herdentieres, er zwingt die Europäer, Geist, nämlich List und Vorsicht übrigzubehalten, den männlichen und kriegerischen Tugenden nicht gänzlich abzuschwören – er schützt Europa einstweilen vor dem ihm drohenden marasmus femininus.

Friedrich Nietzsche

 

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