„Fast alle Zukunftsvisionen, die uns dargeboten werden, sind im wesentlichen statisch. Meistens skizzieren sie eine Gesellschaft, die in den Wissenschaften, in Technik und politischer Organisation der unsrigen weit voraus ist. Gewaltige Veränderungen, Spannungen und Umstürze müssen irgendwann in der Zeit zwischen dem Heute und dem Später stattgefunden haben. Und immer dann, wenn wir die Zukunft zu sehen bekommen, sollen Wissenschaft, Technik und Gesellschaftsordnung schon perfekt sein. Ich möchte diese Vorstellung in Frage stellen und anzweifeln, ob wir jemals einen stabilen Endzustand von Wissenschaft und Technik erreichen werden. Zu keinem Zeitpunkt während der etwa 10 000 Jahre seit der letzten Eiszeit hat sich die Menschheit in einem Zustand gleichbleibenden Wissens und unveränderter Technik befunden. Nirgendwo ist das einleuchtender als auf dem Gebiet der Genetik. Unser Körper ist das bei weitem komplexeste System, das wir kennen.(…)
In den letzten 10 000 Jahren hat es in der menschlichen DNS keine Veränderung von Belang gegeben. Aber es ist wahrscheinlich, daß wir sie im nächsten Jahrtausend vollkommen umstrukturieren können. Selbstverständlich werden viele Menschen ein Verbot der Manipulation am menschlichen Genom fordern, aber ich bezweifle stark, daß sie es verhindern können. Genmanipulation an Pflanzen und Tieren wird aus wirtschaftlichen Gründen erlaubt werden, und zwangsläufig wird es irgend jemand auch am Menschen versuchen. Vorausgesetzt wir schaffen uns keine totalitäre Weltordnung, wird einer irgendwann irgendwo optimierte Menschen erschaffen.Gewiß wird die Entwicklung derart optimierter Menschen große soziale und politische Probleme mit sich bringen, vor allem im Verhältnis zu nichtoptimierten Menschen. Ich befürworte die Genmanipulation am Menschen nicht. Ich sage nur, daß sie in den kommenden 1000 Jahren wahrscheinlich wird – ob wir wollen oder nicht.
Deswegen glaube ich auch nicht an Science-fiction wie in “Star Trek”, wo Menschen in 400 Jahren im wesentlichen genauso aussehen und sich genauso verhalten wie heute. Ich bin davon überzeugt, die menschliche DNS wird ihre Komplexität ziemlich rasant steigern. In gewisser Hinsicht muß die Menschheit ihre geistigen und physischen Fähigkeiten verbessern, wenn sie sich mit einer zunehmend komplexen Welt um sie herum auseinandersetzen will und wenn sie sich neuen Herausforderungen wie etwa der Raumfahrt stellen möchte. Wenn biologische Systeme ihren Vorsprung vor elektronischen behalten wollen, müssen diese ohnehin ihre Komplexität erhöhen. Momentan haben Computer noch einen Vorteil in der Geschwindigkeit, sie zeigen allerdings keine Anzeichen von Intelligenz. Das ist nicht weiter überraschend, denn unsere Computer von heute sind weniger komplex als das Hirn eines Regenwurms, eine Spezies, die bisher nicht wegen ihrer Geisteskraft gerühmt wird.Computer folgen allerdings Moores Gesetz, das besagt, die Geschwindigkeit und Komplexität von Computern werde sich alle 18 Monate verdoppeln. Das kann offensichtlich nicht unendlich so weitergehen. Es wird sich aber so lange fortsetzen, bis Computer eine dem menschlichen Hirn ähnliche Komplexität erreicht haben. Manche meinen, daß Rechner niemals “wahre” Intelligenz besitzen werden, was immer das auch sein mag. Doch ich denke, wenn sehr komplizierte chemische Moleküle im Menschen auf eine Weise funktionieren können, die sie intelligent macht, dann können gleichermaßen komplizierte elektronische Stromkreise auch Computer veranlassen, sich intelligent zu verhalten. Und sobald sie intelligent sind, können sie voraussichtlich selbst Computer konstruieren, die noch größere Komplexität und Intelligenz aufweisen. Aus diesem Grund traue ich der Science-fiction-Phantasie einer fortgeschrittenen, aber unveränderlichen Zukunft nicht. Statt dessen erwarte ich einen rasanten Zuwachs an Komplexität, sowohl in der biologischen als auch in der elektronischen Sphäre. Wenig davon wird in den nächsten 100 Jahren geschehen, und das ist immerhin alles, was man seriös voraussagen kann. Aber am Ende des nächsten Jahrtausends – sofern die Menschheit bis dorthin gelangt – werden die Veränderungen fundamental sein.“
Stephen Hawking
Quellennachweis:
Stephen William Hawking, (1942-2018) war ein britischer theoretischer Physiker und Astrophysiker.
https://de.wikipedia.org/wiki/Stephen_Hawking
Stephen Hawking
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Science in the Next Millennium.
Remarks by Stephen Hawking at the Second White House Millennium Evening, March 6, 1998
https://clintonwhitehouse4.archives.gov/Initiatives/Millennium/mill_eve2.html
Wem gehört die Zukunft?
Gefunden bei: www.welt.de
https://www.welt.de/print-welt/article568535/Wem-gehoert-die-Zukunft.html
Übersetzung: Christian Benne