„Aber das Problem ist ein reales Problem, kein bloßes Gedankenspiel. Denn wir leben heute in einer Gesellschaft, in der falsche Realitäten von den Medien, von Regierungen, von großen Unternehmen, von religiösen Gruppen, von politischen Gruppen hergestellt werden – und es gibt die elektronische Hardware, mit der diese Pseudowelten direkt in die Köpfe der Leser, der Zuschauer, der Zuhörer transportiert werden können. Manchmal, wenn ich meiner elfjährigen Tochter beim Fernsehen zuschaue, frage ich mich, was ihr da beigebracht wird. Das Problem der Fehldeutung; bedenken Sie das. Ein für Erwachsene produziertes Fernsehprogramm wird von einem kleinen Kind gesehen. Die Hälfte von dem, was in dem TV-Drama gesagt und getan wird, wird von dem Kind wahrscheinlich missverstanden. Vielleicht wird sogar alles missverstanden. Und die Frage ist: Wie authentisch sind die Informationen überhaupt, selbst wenn das Kind sie richtig verstanden hat? In welchem Verhältnis steht die durchschnittliche TV-Situationskomik zur Realität? Was ist mit den Polizeiserien? Ständig geraten Autos außer Kontrolle, krachen zusammen und fangen Feuer. Die Polizei ist immer gut und sie gewinnt immer. Ignorieren Sie diesen Punkt nicht: Die Polizei gewinnt immer. Was für eine Lektion ist das. Du solltest nicht gegen die Autorität kämpfen, und selbst wenn du es tust, wirst du verlieren. Die Botschaft hier lautet: Sei passiv. Und – kooperiere. Wenn Officer Baretta Sie um Informationen bittet, geben Sie sie ihm, denn Officer Baretta ist ein guter Mann, dem man vertrauen kann. Er liebt Sie, und Sie sollten ihn lieben.
Deshalb frage ich in meinem Schreiben: Was ist real? Denn wir werden unaufhörlich mit Pseudowirklichkeiten bombardiert, die von hochentwickelten Menschen mit Hilfe hochentwickelter elektronischer Mechanismen hergestellt werden. Ich misstraue nicht ihren Motiven; ich misstraue ihrer Macht. Sie haben eine Menge davon. Und es ist eine erstaunliche Macht: die Macht, ganze Universen zu schaffen, Universen des Geistes. Ich muss es wissen. Ich tue dasselbe. Es ist meine Aufgabe, Universen zu erschaffen, die die Grundlage für einen Roman nach dem anderen bilden. Und ich muss sie so aufbauen, dass sie nicht zwei Tage später auseinanderfallen. Zumindest hoffen das meine Lektoren. Aber ich werde Ihnen ein Geheimnis verraten: Ich baue gerne Universen, die auseinanderfallen. Ich mag es, wenn sie aus den Fugen geraten, und ich mag es zu sehen, wie die Romanfiguren mit diesem Problem umgehen. Ich habe eine heimliche Liebe zum Chaos. Es sollte mehr davon geben. Glauben Sie nicht – und ich meine es todernst, wenn ich das sage -, dass Ordnung und Stabilität in einer Gesellschaft oder in einem Universum immer gut sind. Das Alte, das Verknöcherte muss immer dem neuen Leben und der Geburt von Neuem Platz machen. Bevor das Neue geboren werden kann, muss das Alte zugrunde gehen. Das ist eine gefährliche Erkenntnis, denn sie sagt uns, dass wir uns irgendwann von vielem trennen müssen, was uns vertraut ist. Und das tut weh. Aber das ist ein Teil des Drehbuchs des Lebens. Wenn wir uns nicht psychologisch auf Veränderungen einstellen können, beginnen wir selbst innerlich zu sterben. Ich will damit sagen, dass Gegenstände, Sitten, Gewohnheiten und Lebensweisen verschwinden müssen, damit der authentische Mensch leben kann. Und auf den authentischen Menschen kommt es an, auf den lebensfähigen, elastischen Organismus, der das Neue aufnehmen und verarbeiten kann.“
Philip K. Dick
Quellennachweis:
Philip Kindred Dick (1928-1982), war ein US-amerikanischer Science-Fiction-Autor.
Philip K. Dick (Screenshot)
„But the problem is a real one, not a mere intellectual game. Because today we live in a society in which spurious realities are manufactured by the media, by governments, by big corporations, by religious groups, political groups — and the electronic hardware exists by which to deliver these pseudo-worlds right into the heads of the reader, the viewer, the listener. Sometimes when I watch my eleven-year-old daughter watch TV, I wonder what she is being taught. The problem of miscuing; consider that. A TV program produced for adults is viewed by a small child. Half of what is said and done in the TV drama is probably misunderstood by the child. Maybe it’s all misunderstood. And the thing is, Just how authentic is the information anyhow, even if the child correctly understood it? What is the relationship between the average TV situation comedy to reality? What about the cop shows? Cars are continually swerving out of control, crashing, and catching fire. The police are always good and they always win. Do not ignore that point: The police always win. What a lesson that is. You should not fight authority, and even if you do, you will lose. The message here is, Be passive. And — cooperate. If Officer Baretta asks you for information, give it to him, because Officer Baretta is a good man and to be trusted. He loves you, and you should love him.
So I ask, in my writing, What is real? Because unceasingly we are bombarded with pseudo-realities manufactured by very sophisticated people using very sophisticated electronic mechanisms. I do not distrust their motives; I distrust their power. They have a lot of it. And it is an astonishing power: that of creating whole universes, universes of the mind. I ought to know. I do the same thing. It is my job to create universes, as the basis of one novel after another. And I have to build them in such a way that they do not fall apart two days later. Or at least that is what my editors hope. However, I will reveal a secret to you: I like to build universes which do fall apart. I like to see them come unglued, and I like to see how the characters in the novels cope with this problem. I have a secret love of chaos. There should be more of it. Do not believe — and I am dead serious when I say this — do not assume that order and stability are always good, in a society or in a universe. The old, the ossified, must always give way to new life and the birth of new things. Before the new things can be born the old must perish. This is a dangerous realization, because it tells us that we must eventually part with much of what is familiar to us. And that hurts. But that is part of the script of life. Unless we can psychologically accommodate change, we ourselves begin to die, inwardly. What I am saying is that objects, customs, habits, and ways of life must perish so that the authentic human being can live. And it is the authentic human being who matters most, the viable, elastic organism which can bounce back, absorb, and deal with the new.“
Übersetzung: skynetblog.de
Ein Auszug aus dem Essay:
How to Build a Universe That Doesn’t Fall Apart Two Days Later
Philip K. Dick, 1978