„Gesellschaften werden modern, wie der Philosoph Hegel meinte, wenn die Nachrichten die Religion als wesentliche Quelle der Orientierung und als Prüfstein der Autorität ablösen. In den entwickelten Wirtschaftsgesellschaften üben die Medien heute eine mindestens so starke Macht aus wie früher der Glaube. Die Berichterstattung taktet den traditionellen Tagesablauf mit unheimlicher Genauigkeit:
Das Frühstück hat sich ins Morgenmagazin verwandelt, das Abendessen ist identisch mit der Tagesschau. Aber die Nachrichten gehorchen nicht nur einem quasireligiösen Stundenplan. Man soll ihnen mit derselben ehrerbietigen Erwartungen begegnen wie früher der Religion. Auch hier erhoffen wir uns Erkenntnisse über Gut und Böse, möchten dem Leiden auf den Grund gehen und die sich entfaltende Logik des seins verstehen. Und auch hier könnten wir uns, wenn wir unsere Teilnahme an den Ritualen verweigern, der Häresie schuldig machen.
Die Medien verbergen ihre eigenen Wirkmechanismen und lassen sich schwer hinterfragen. Sie sprechen ganz natürlich und ohne Betonung, ohne je Bezug auf ihre eigene voreingenommene Perspektive zu nehmen. Sie vertuschen, dass sie nicht nur über die Welt berichten, sondern vielmehr ständig damit zugange sind, in unseren Köpfen einen neuen Planeten zu erschaffen, der unverkennbar zu ihren eigenen Prioritäten passt.“
Alain de Botton
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