„So wie mit unseren Universitäten, ist es mit hundert anderen »modernen Errungenschaften«: wir täuschen uns. Nicht immer bedeuten sie tatsächlich einen Vorteil. Der Teufel verlangt von seiner ersten bis zur letzten Investierung Zins und Zinseszins auf Heller und Pfennig. Unsere Erfindungen sind meist schöne Spielsachen, die unsere Aufmerksamkeit vom Wesentlichen ablenken. Sie sind nur verbesserte Mittel zu einem unverbesserten Zweck, der nur allzu leicht zu erreichen war, so leicht, wie man mit der Eisenbahn von Boston nach New York kommt. Wir haben es furchtbar eilig, eine Telegraphenlinie von Maine nach Texas zu bauen. Aber vielleicht haben sich Maine und Texas gar nichts Wichtiges mitzuteilen. Es geht ihnen wie dem Manne, der sich eifrig bemühte, bei einer angesehenen schwerhörigen Dame eingeführt zu werden. Als er ihr dann vorgestellt wurde und man ihm das Ende ihres Hörapparates in die Hand gab, wußte er nichts zu sagen. Als ob die Hauptsache wäre, schnell zu reden, statt vernünftig zu reden. Wir wollen unbedingt den Ozean untertunneln, um die Alte Welt der Neuen ein paar Wochen näher zu bringen. Vielleicht dringt aber als erste Neuigkeit in das weit aufgerißne Ohr Amerikas die Nachricht, daß die Prinzessin Adelaide den Keuchhusten hat. Schließlich bringt nicht der Reiter die wichtigste Botschaft, dessen Pferd in der Minute eine Meile zurücklegt. Weder ist er ein Evangelist, noch lebt er von Heuschrecken und wildem Honig. Ich bezweifle, daß das Rennpferd »Flying Childers« jemals einen Sack Korn in die Mühle getragen hat.“
Henry David Thoreau
Quellennachweis:
Henry David Thoreau (1817-1862), amerikanischer Schriftsteller und Philosoph
https://de.wikipedia.org/wiki/Henry_David_Thoreau
https://de.wikipedia.org/wiki/Walden
Aus:
Henry David Thoreau
Walden oder Leben in den Wäldern (1854)
Anaconda Verlag (304 Seiten)
ISBN: 978-3-86647-377-5
Übersetzung von Anneliese Dangel (1949)
Seite 49+50
Walden bei projekt-gutenberg.org
„Wie mit unseren Universitäten, so ist es mit hundert »modernen Verbesserungen«. Illusionen macht man sich über alles, ein positiver Vorteil ergibt sich jedoch nicht immer. Der Teufel verlangt Zinseszins für seine verliehenen Kapitalien bis zur letzten Abschlagszahlung. Unsere Erfindungen sind meistens niedliche Spielsachen, die unsere Aufmerksamkeit von ernsten Dingen ablenken. Sie sind nur verbesserte Mittel zu einem unverbesserten Zweck – zu einem Zweck, der auf die einfachste Weise von vornherein hätte erreicht werden können. Es ist kein Problem Eisenbahnen nach Newyork oder nach Boston zu bauen. Wir haben es sehr eilig eine telegraphische Verbindung zwischen Maine und Texas einzurichten. Aber Maine und Texas haben sich eventuell gar nichts Wichtiges mitzuteilen. Jedes dieser Länder befindet sich in derselben Lage wie jener Mann, der lebhaft wünschte einer vornehmen, tauben Dame vorgestellt zu werden. Als die Vorstellung erfolgte und das eine Ende ihres Hörapparates ihm in die Hand gegeben wurde, wußte er nichts zu sagen. Als ob es die Hauptsache wäre, schnell zu sprechen statt vernünftig. Wir bemühen uns eifrig, eine telegraphische Verbindung durch den Atlantischen Ozean herzustellen und die Alte Welt der Neuen um einige Wochen näher zu bringen. Die erste Nachricht aber, die auf diese Weise in das breite, amerikanische Klapprohr hineintröpfelt, lautet vielleicht: Prinzessin Adelheid hat den Keuchhusten. Kurz und gut – der Mann, dessen Pferd in der Minute eine Meile läuft, braucht darum noch nicht die wichtigsten Nachrichten mitzubringen. Er ist kein Evangelist, noch lebt er von Heuschrecken und wildem Honig. Ich glaube, daß das Rennpferd »Flying Childers« nie einen Sack voll Roggen zur Mühle getragen hat.“
Übersetzung von Wilhelm Nobbe (1922)