[Bild des Monats #September2019]
ARD ZDF und der (mögliche) Bestätigungsfehler
Für die Studie „Old, Educated, and Politically Diverse: The Audience of Public Service News“ (PSM) wurden in Deutschland 2022 Personen u.a. nach ihrer Selbsteinschätzung gefragt. Sie sollten sich selber auf einer Sieben-Punkte-Skala von „ganz links“ bis „ganz rechts“ platzieren.
(Grafik: Schulz, Levy, Nielsen 2019)
Den Teilnehmern wurde die folgende Frage gestellt:
„Einige Leute sprechen von „links“, „rechts“ und „Mitte“, um Parteien und Politiker zu beschreiben. In diesem Sinne, wo würden Sie sich in der folgenden Skala platzieren?“ [Q1F.] PDF Seite 24
Die Größe des Kreises zeigt die Reichweite der Nachrichtenanbieter an.
Die Neue Züricher Zeitung (NZZ) schreibt dazu:
26 Prozent des Publikums von ARD und ZDF beschreiben sich demnach als leicht rechts oder rechts der politischen Mitte. 34 Prozent sehen sich genau in der Mitte, und 40 Prozent verorten sich leicht links oder links der Mitte.
Bei den Zuschauern von ARD und ZDF ist also eine linke Tendenz erkennbar. Sie scheinen sich somit im Durchschnitt vom Publikum vergleichbarer europäischer Sender zu unterscheiden.
Neue Züricher Zeitung (NZZ vom 21.09.2019)
(Grafik: Schulz, Levy, Nielsen 2019)
„Wenn wir die Vertrauenswerte für unsere PSMs durch unterschiedliche politische Orientierungen aufschlüsseln und untersuchen, wie Menschen, die sich als politisch links, zentral oder rechts von PSMs identifizieren, entsteht ein komplexes Bild (Abbildung 8).
In Frankreich, Italien, Spanien und Großbritannien haben PSMs die höchsten Vertrauenszahlen unter denen, die sich selbst mit dem politischen Zentrum identifizieren.
In Deutschland und Finnland sind die Vertrauenswerte gleich oder ungefähr gleich hoch wie bei denen in der Mitte und denen auf der linken Seite.
Abbildung 8 zeigt weitere Details.
Dem Pfeil folgend und nur die Vertrauenswerte zwischen den linken und rechten Gruppen vergleichend (ohne die Mitte) stellen wir fest, dass den PSMs in jedem Land mit Ausnahme der Tschechischen Republik, im Allgemeinen mehr von den linksgerichteten Publikumssegmenten vertraut wird als von den rechtsgerichteten Segmenten. Die Differenz ist bei France Télévisions mit einer Differenz von nur 0,1 am geringsten und bei ERT, ARD und ZDF sowie Yle am größten, wo die linke Gruppe den PSMs um mindestens einen Vertrauenspunkt bis zu 2,8 Punkten in Griechenland mehr vertraut.“
Schulz, Levy, Nielsen 2019, Seite 24/25
ARD und ZDF sind mit 2.1 Punkten Differenz im europäischen Vergleich auf dem vorletzten Platz. Ein sehr schlechtes Ergebnis für den weltweit teuersten öffentlichen Rundfunk. Nur in Griechenland ist der Vertrauensverlust des rechtsgerichteten Segments noch größer.
Wenn die Menschen den Sendern nicht mehr vertrauen, schalten sie den öffentlichen Rundfunk auch nicht mehr ein. Somit schaut nur noch das Publikum ARD und ZDF, dass den Sendern vertraut, weil diese Sender die eigenen Ansichten der Zuschauer bestätigen. Und weil sie in ihren Ansichten bestätigt werden, steigt das Vertrauen gegenüber den Sendern (confirmation bias). Denn, würden die Sender falsch liegen, müsste ja auch der Zuschauer in seinen Ansichten falsch liegen und das kann einfach nicht wahr sein. So können zum Beispiel kognitive Verzerrungen umgangen werden.
Das Publikum als ein wichtiges korrektiv entfällt.
Der Dialog zwischen Sender und Empfänger nimmt immer weiter ab (These, Antithese, Synthese) und die Kommunikation wird einseitig. Dieser Prozess trägt zur Bildung einer Echokammer bei, in der das Publikum die Sender bestätigt und die Sender ihrerseits ihr (in diesem Fall) „linkes“ Publikum bestätigen. Wird nur noch ein Weltbild übertragen (natürlich das richtige), isoliert der Sender das Publikum von anderen Peergroups und bindet es so noch stärker an sich. „Wir sind die Guten und darum muss alles andere Hass sein. Und weil alles andere falsch/Hass ist, müssen wir die Guten sein.“ Ein argumentativer Zirkelschluss entsteht.
Das gleiche Prinzip lässt sich auch in anderen sozialen Gruppen oder Internetforen beobachten.
Isolation trägt zur Radikalisierung bei
In Isolation und unter Bedrohung entwickeln Gruppen eine starke Interdependenz (wechselseitige Abhängigkeit). Diese führt zu einem extremen Zusammenhalt innerhalb der Gruppe, welcher seinerseits einen hohen Druck für gruppenkonformes Verhalten, sowie eine internalisierte Übereinstimmung von Werten nach sich zieht.
https://de.wikipedia.org/wiki/Radikalisierung
Vgl. Echokammer-Effekt
Ein verwandtes Konzept ist der Echokammer-Effekt (englisch Echo Chamber Effect) in der Kommunikationswissenschaft, der beschreibt, wie es durch den verstärkten virtuellen Umgang mit Gleichgesinnten in sozialen Netzwerken zu einer Verengung der Weltsicht kommt, die zu Bestätigungsfehlern führen kann.
https://de.wikipedia.org/wiki/Filterblase
Vgl. Rundfunkstaatsvertrag öffentlich-rechtlicher Rundfunk
§ 11 Auftrag
(2) Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben bei der Erfüllung ihres Auftrags die Grundsätze der Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung, die Meinungsvielfalt sowie die Ausgewogenheit ihrer Angebote zu berücksichtigen.
Vgl. Filterblase
Die Definition von der Entstehung einer „Filterblase“ (Informationsblase) lautet wie folgt:
„weil Webseiten [Anmerkung: oder auch der öffentliche Rundfunk] versuchen, algorithmisch [Anmerkung: oder redaktionell] vorauszusagen, welche Informationen der Benutzer auffinden möchte – dies basierend auf den verfügbaren Informationen über den Benutzer (beispielsweise Standort des Benutzers, Suchhistorie und Klickverhalten). Daraus resultiere eine Isolation gegenüber Informationen, die nicht dem Standpunkt des Benutzers entsprechen.“
https://de.wikipedia.org/wiki/Filterblase
Vgl. Bestätigungsfehler (confirmation bias)
Ein Bestätigungsfehler (auch Bestätigungstendenz oder Bestätigungsverzerrung, engl. confirmation bias) ist in der Kognitionspsychologie die Neigung, Informationen so auszuwählen, zu ermitteln und zu interpretieren, dass diese die eigenen Erwartungen erfüllen (bestätigen). (…)
Bestätigende Informationen werden unter anderem bevorzugt, wenn
- passende Informationen besser in Erinnerung bleiben,
- passende Informationen höher gewertet werden als gegensätzliche,
- Informationsquellen für unpassende Informationen gemieden werden.
https://de.wikipedia.org/wiki/Bestätigungsfehler
Anmerkung (30.11.2019):
Eine frühere Version des Textes lautete:
ARD und ZDF haben eine größere Reichweite (Publikumsanteil) als die „ausgewählten Privatsender“ n-tv und RTL. Die Zuschauer von ARD und ZDF ordnen sich selbst fast ausschließlich links der Mitte ein. Das bedeutet, dass die Sender ARD und ZDF das Publikum in der politischen Mitte kaum noch erreichen und die Menschen rechts der Mitte (fast) gar nicht mehr. Die Zuschauer von n-tv und RTL beschreiben sich selber ausschließlich „rechts“ der politischen Mitte auf der Skala.
Dieser Text wurde durch einen Text der NZZ (Neue Züricher Zeitung) ersetzt, die ihren Artikel inzwischen mit den Zahlen des Reuters Institute aktualisiert hat.
Quellennachweise:
Old, Educated, and Politically Diverse: The Audience of Public Service News
Anne Schulz, David A. L. Levy, and Rasmus Kleis Nielsen
Reuters Institute Report | September 2019
Published by the Reuters Institute for the Study of Journalism
at the University of Oxford with support from Yle.
Grafik: Schulz, Levy, Nielsen, 2019
Download der Studie als PDF:
https://de.wikipedia.org/wiki/Radikalisierung
https://de.wikipedia.org/wiki/Filterblase
https://de.wikipedia.org/wiki/Bestätigungsfehler
Neue Züricher Zeitung vom 21.09.2019
https://www.nzz.ch/international/ard-und-zdf-links-der-mitte-beliebter-ld.1508430
Leider wird die Studie von großen eher nach rechts tendierenden Medienhäusern sowie hier im Blog fehlinterpretiert. Insbesondere die Grafik mit den Kreisen wird falsch gedeutet. Näheres siehe hier: https://uebermedien.de/43632/so-links-ist-das-publikum-von-tagesschau-und-heute-wirklich/
hape
Vielen Dank für Ihren Hinweis.
Ein paar kurze Anmerkungen dazu:
1. Meine Aussagen zu der Grafik 8 sind absolut korrekt.
2. Mein Text zu der Grafik 7 war ungenau. Ich habe die aktuellen Zahlen (26%, 34%, 40%) angepasst. Ich sehe allerdings keinen Anlass, dadurch die Schlussfolgerungen zu ändern.
3. Ob ein Argument gültig ist (richtig oder falsch), hängt nicht von dem politischen Standpunkt der Person ab, die das Argument verwendet. Ob jemand “rechts” oder “links” ist, ist in diesem Zusammenhang nur ein Scheinargument (argumentum ad hominem) bzw. ein argumentum ad personam.
4. Die von Ihnen (bzw. Herrn Niggemeier) angegebene Quelle, das Hans-Bredow-Institut, bei dem u.a. Lutz Marmor, der Intendant des Norddeutschen Rundfunks Kuratoriumsmitglied ist, wird bis heute u.a. von dem Bundesministerium für Bildung und Forschung, ARD und ZDF, sowie der Bertelsmann-Stiftung finanziert (wurde wohl vergessen zu erwähnen).
Wie dem auch sei, vielen Dank für den Hinweis auf die aktuellen Zahlen, ich habe sie eingefügt.
Wissen vernetzen.
Redaktion