Ergänzung zur Studie über Parteimitgliedschaften

Dieser Beitrag ist eine Ergänzung zu der Studie „Parteimitglieder in Deutschland (Version 2015)“ von Prof. Dr. Oskar Niedermayer. Die Studie belegt, dass alle Parteien [CDU, CSU, SPD, Grüne, Linke und FDP] seit 1990 (2,4 Millionen) zusammengerechnet die Hälfte ihrer Mitglieder verloren haben. Ende 2015 waren es insgesamt nur noch 1,2 Millionen Mitglieder.

Über die möglichen Motive, warum Menschen aus den Parteien austreten, möchte ich ergänzend noch auf zwei weitere interessante Texte hinweisen. (Teil 2)


Nur Mitglieder können aus Parteien austreten.

Warum Mitglieder ihre Parteien verlassen hat viele Ursachen. Aber zuerst muss jemand ein Mitglied werden. Was war der Grund für den Eintritt? Die Struktur von Parteien ändern sich, ihre Ausrichtung und die Personen innerhalb der Parteien. Aber die Mitglieder selber ändern sich auch. Es ist also eine von mehreren Möglichkeiten, dass nicht die Veränderung der Partei, sondern die Veränderung des Parteimitgliedes zum Austritt geführt hat.


Der Text „Motive des Parteibeitritts und der Parteimitgliedschaft im Wandel“ ist von Prof. Dr. Markus Klein und Prof. Dr. Tim Spier verfasst worden. Sie beschreiben Wandlungsprozesse und Motive der Mitgliedschaft.


„Wir betrachten dabei zwei Arten von Wandlungsprozessen:
Zum einen gehen wir von der Annahme aus, dass sich die Anreize des Individuums für einen Parteibeitritt im Zuge des sozialen Wandels gravierend verändert haben.“ […]

„Darüber hinaus richten wir den Blick aber auch auf den Wandel von Mitgliedschaftsmotiven im Laufe der Parteimitgliedschaft selbst.“

Quelle:  www.bpb.de  |  (Klein, Spier, 2011)
Motive des Parteibeitritts und der Parteimitgliedschaft im Wandel


Klassifikation der Motive

„Die Motive des Parteibeitritts und der Parteimitgliedschaft sind von Person zu Person verschieden, können allerdings auf der Grundlage theoretischer Überlegungen systematisiert werden. Der in der Parteimitgliederforschung einflussreichste Systematisierungsvorschlag stammt von den beiden englischen Forschern Patrick Seyd und Paul Whiteley.[2] Im Rahmen ihres sogenannten General-Incentives-Modells versuchen sie, alle Anreize zur Partizipation in politischen Parteien zu erfassen. In dem Moment, in dem sich Menschen von diesen Anreizen in ihrem Verhalten leiten lassen, entstehen entsprechende individuelle Beitritts- und Mitgliedschaftsmotive.“

Quelle:  www.bpb.de  |  (Klein, Spier, 2011)
Motive des Parteibeitritts und der Parteimitgliedschaft im Wandel


Eine weitere Ergänzung zu dem Thema warum Mitglieder aus den Parteien austreten, ist der Text „Warum schrumpfen Mitgliederparteien?“ von Prof. Dr. Nicolai Dose. Er leitet den Lehrstuhl für Politikwissenschaft und Verwaltungswissenschaft an der Universität Duisburg-Essen, Institut für Politikwissenschaft. Prof. Dr. Nicolai Dose beschreibt in seiner Analyse vier mögliche Ursachen die zu Parteiaustritten führen können.


Die Daten basieren auf zwei Befragungen von ehemaligen Mitgliedern des
SPD-Unterbezirks Siegen-Wittgenstein (07/2010 -03/2011) und (12/2011-01/2012).

„Befragt man die Literatur nach möglichen Faktoren, die helfen können, Parteiaustritte zu erklären, findet man erstens Hinweise auf das Wegbrechen von spezifischen sozialen Milieus, die ursprünglich geeignet waren, Parteimitglieder zu binden. Diese Milieus hätten ihre Prägekraft verloren (Niedermayer 2000: 98-99).“

Zweitens trägen eine generelle Parteienverdrossenheit und der verbreitete Vertrauensverlust von Institutionen zu einer verringerten Attraktivität von Parteien bei. Gesellschaftliche Probleme weisen mittlerweile in verflochtenen Systemen eine Komplexität auf, die auch von politisch Interessierten nicht immer zu durchschauen ist.“
Drittens würden die Parteien immer weniger den aktuellen Wünschen nach Art
und Umfang bürgerschaftlicher Beteiligung entsprechen. Die neu gewachsenen
Ansprüche der Bürger nach wirksamer Mitbestimmung und Mitgestaltung jenseits einer rein repräsentativ demokratischen Ausprägung könnten die „verkrusteten, zuweilen zu erstarrten Apparaten degenerierten Parteiorganisationen“ nicht erfüllen (Niedermayer 2000: 99).“
Viertens werden übergroße und damit tendenziell anonyme Ortsvereine als Austrittsgrund gesehen.“

Quelle: (Dose, 2012) | Warum schrumpfen Mitgliederparteien? | Seite 296 + 297


Zusammenfassung von Prof. Dr. Nicolai Dose

Als Fazit seiner Analyse schreibt Prof. Dr. Nicolai Dose in seiner Zusammenfassung:

„Sie [die Mitgliederverluste, Anmerk.] entstehen aus dem Saldo aus Eintritten,  Sterbefällen und Austritten, wobei die Austritte den größten Anteil an den Schrumpfungsprozessen ausmachen. Auf der Basis der in der einschlägigen Literatur auffindbaren Erklärungsversuche sowie auf der Grundlage zweier empirischer Studien im SPD-Unterbezirk Siegen-Wittgenstein konnten folgende  Erklärungsfaktoren herausgearbeitet werden, die so aber nicht für das gesamte  Bundesgebiet erklärungskräftig sein müssen:

Erstens, die Wirkung einer Erosion sozialer Milieus konnte nicht nachgewiesen werden.
Umgekehrt weisen die Mitglieder im SPD-Unterbezirk Siegen-Wittgenstein einen besonders hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrad auf. Dies verweist darauf, dass das ausgeprägte sozialdemokratische Milieu sich in einer Phase tendenziell arbeitnehmerfeindlicher Politik (Hartz IV, Rente mit 67) gegen die Mitgliedschaft in der SPD ausgewirkt hat.

Zweitens, scheint ein gewisses Maß an Parteiverdrossenheit für den Mitgliederschwund verantwortlich zu sein. Als besonders erklärungskräftig ist dabei neben der ausgeprägten Machtorientierung und dem häufigen Wechsel an der SPD-Spitze die Agenda-Politik der SPD.

Drittens, unzureichende innerparteiliche Mitbestimmungsmöglichkeiten können gleichfalls zur Austrittsentscheidung beigetragen haben. Dies wurde insbesondere durch einen Vergleich der Einschätzung ehemaliger mit aktuellen Mitgliedern deutlich. Dabei sind insbesondere die Beteiligungsmöglichkeiten auf überörtlicher Ebene unterentwickelt.

Viertens, große und u.U. anonyme Ortsvereine haben lediglich einen unterdurchschnittlichen Anteil an den Schrumpfungsprozessen.
Umgekehrt,
es konnte ermittelt werden, dass gerade kleine Ortsvereine unter 36 Mitgliedern und die  sehr kleinen mit Mitgliederzahlen von 25 abwärts überproportional viele Mitglieder verlieren.“

Quelle: (Dose, 2012) | Warum schrumpfen Mitgliederparteien? | Seite 301 + 302


„Die genannten Erklärungsfaktoren sind nicht unabänderbar.“
Quelle: (Dose, 2012) | Warum schrumpfen Mitgliederparteien? | Seite 302

Nachweise:

Markus Klein, Tim Spier (2011)
Motive des Parteibeitritts und der Parteimitgliedschaft im Wandel,
in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Bd. 61 (2011), H. 44-45, S. 33-39.

Quelle:  www.bpb.de  |  Markus Klein  |  Tim Spier  |  26.10.2011


Nicolai Dose (2012)
Warum schrumpfen Mitgliederparteien?
Gesellschaft • Wirtschaft • Politik (GWP) Heft 3/2012,
Jahrgang 61, 2012, Heft 3  |  S. 296-302


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