Dostojewski über das Nicht-Sagbare eines Gedankens [Zitat]

„O glauben Sie wirklich, daß ich es nicht weiß, wie ich mich schon sowieso mit meiner Erklärung erniedrige! Wer wird mich nicht für einen dummen Jungen halten, der mit seinen achtzehn Jahren das Leben noch nicht kennt. Doch er vergißt, daß so leben, wie ich diese sechs Monate gelebt habe, gleichbedeutend ist mit leben – bis zum Greisenalter! Möge man doch lachen, möge man sagen, daß es Märchen sind, denn es ist wahr, ich habe mir selbst Märchen vorerzählt, ganze Tage und Nächte lang, und ich erinnere mich jetzt ihrer aller.

Soll ich sie mir denn jetzt wieder erzählen, jetzt, wo es Zeit ist, auch die Märchen zu lassen? Und wozu noch? Ich vertrieb mir die Zeit mit ihnen, damals, als ich einsah, daß es mir sogar versagt war, die griechische Grammatik zu lernen, da ich, wie ich mir sagen mußte, ‚kaum bis zur Syntax kommen würde, bevor ich stürbe‘. Ich warf das Buch unter den Tisch – dort liegt es jetzt noch. Matrjona wollte es aufheben, ich habe es ihr verboten.

Möge der, dem meine Erklärung in die Hände fällt, und der die Geduld hat, sie durchzulesen, möge er mich für einen Wahnsinnigen oder, noch schlimmer, für einen Gymnasiasten halten – oder richtiger: für einen zum Tode Verurteilten, dem es nur zu natürlich schien, daß alle Menschen, nur er selbst ausgenommen, das Leben nicht zu schätzen wissen, es leichtsinnig verschwenden, faul und gewissenlos sich seiner bedienen, und daß alle, bis auf den letzten, es nicht verdienen! Doch ich erkläre, daß der Leser sich irrt, wenn er glaubt, diese meine Überzeugung sei abhängig von meinem Todesurteil. Fragen Sie, fragen Sie sie doch nur, vom ersten bis zum letzten, worin ihrer Meinung nach das Glück besteht?

Oh, seien Sie überzeugt, daß Kolumbus nicht damals glücklich war, als er Amerika entdeckt hatte, sondern als er es entdecken wollte; seien Sie überzeugt, daß der Augenblick seines höchsten Glückes vielleicht damals war, als drei Tage vor der Entdeckung der Neuen Welt seine Mannschaft meuterte und in der Verzweiflung schon nach Europa zurückkehren wollte! Nicht auf die Neue Welt kommt es hierbei an – hol sie der Henker! Und Kolumbus starb ja auch, fast ohne sie zu sehen, ja im Grunde genommen, ohne zu wissen, was er entdeckt hatte. Sondern auf das Leben kommt es an, einzig auf das Leben – auf das Entdecken des Lebens, das ununterbrochene und ewige Entdecken, und durchaus nicht auf das Entdeckte selbst! Doch was rede ich! Ich fürchte, daß alles, was ich soeben gesagt habe, allgemein bekannten Phrasen ähnlich ist, daß man mich für einen Schüler der unteren Klassen halten wird, der seinen Aufsatz über den ‚Sonnenaufgang‘ schreibt. Oder man wird sagen, daß ich etwas habe sagen wollen, doch bei aller Anstrengung mich nicht habe … ‚auszudrücken‘ verstanden. Ich möchte indessen bemerken, daß von jeder neuen und genialen menschlichen Idee, oder sogar von jedem ernsten Gedanken, der in einem Menschenhirn entsteht, immer noch irgend so etwas nachbleibt, was sich auf keine Weise andern Menschen mitteilen läßt, selbst wenn man ganze Bände darüber schriebe und den Gedanken fünfunddreißig Jahre lang auslegte. Dieses eine Unbestimmbare wird um keinen Preis aus Ihrem Schädel hinausgehen wollen und wird ewig in Ihnen verbleiben. Und damit sterben Sie zu guter Letzt und nehmen so vielleicht gerade das Wichtigste von Ihrer ganzen Idee mit ins Grab. Und wenn auch ich jetzt nicht alles das wiederzugeben verstanden habe, was mich in diesen sechs Monaten gequält hat, so wird man jetzt doch wenigstens einsehen, daß ich, indem ich diese meine ‚letzte Überzeugung‘ erwarb, sie vielleicht zu teuer habe bezahlen müssen. Sehen Sie, das ist es, was ich – aus gewissen, nur mir bekannten Gründen – in meiner ‚Erklärung‘ sichtbar zu machen für notwendig hielt.

Ich fahre also fort.“

Fjodor Michailowitsch Dostojewski

 

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[Zitat] Fjodor Dostojewski über moderne Negationisten

Der moderne Negationist erklärt sich offen für die Ratschläge des Teufels und behauptet, dass sie eher zum Glück des Menschen führen als die Lehren Christi. Für unseren törichten, schrecklichen russischen Sozialismus (unsere Jugend ist darin verwickelt) ist es eine Richtlinie und, wie es scheint, eine sehr mächtige: die Brotlaibe, der Turmbau zu Babel (d.h. die zukünftige Herrschaft des Sozialismus) und die völlige Versklavung der Gewissensfreiheit – das ist es, was der verzweifelte Negationist anstrebt.

Der Unterschied ist, dass unsere Sozialisten (und es sind nicht nur die heimlichen Nihilisten) bewusste Jesuiten und Lügner sind, die nicht zugeben, dass ihr Ideal das Ideal der Nötigung des menschlichen Gewissens und der Reduzierung der Menschheit auf das Niveau von Vieh ist. Während mein Sozialist (Iwan Karamasow) ein aufrichtiger Mann ist, der freimütig zugibt, dass er mit den Ansichten des Großinquisitors übereinstimmt und dass das Christentum den Menschen viel höher erhoben zu haben scheint, als es seine tatsächliche Position ihm zugesteht. Die Frage, die ich ihnen stellen möchte, kurz zusammengefasst, wie folgt:
“Verachten Sie die Menschheit oder respektieren Sie sie, Sie – ihre zukünftigen Retter?”

Fjodor Michailowitsch Dostojewski

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[Zitat] Dostojewski – Der Traum eines lächerlichen Mannes

„Ich bin ein lächerlicher Mann. Man nennt mich jetzt einen Wahnsinnigen. Das wäre ein deutlicher Anstieg meiner gesellschaftlichen Stellung, wenn sie mich nicht immer noch für so lächerlich hielten wie früher. Aber das macht mich nicht mehr wütend. Sie sind mir jetzt alle lieb, auch wenn sie über mich lachen – ja, selbst dann sind sie mir aus irgendeinem Grund besonders lieb. Es hätte mir nichts ausgemacht, mit ihnen zu lachen – natürlich nicht über mich, sondern weil ich sie liebe -, wenn ich nicht so traurig wäre, wenn ich sie ansehe. Ich bin traurig, weil sie die Wahrheit nicht kennen, während ich sie kenne. Oh, wie schwer ist es, der einzige Mensch zu sein, der die Wahrheit kennt! Aber das werden sie nicht verstehen. Nein, sie werden es nicht verstehen.“

Fjodor Michailowitsch Dostojewski

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