Neue Formen der politischen Partizipation (Teil 8.1) Rückblick
In den letzten Teilen über die politische Partizipation in Deutschland wurde aufgezeigt, dass es verschiedene Veränderungen in der Gesellschaft gibt. Im achten und letzten Teil wird der Themenschwerpunkt der “Volksentscheid auf Bundesebene” sein.
Die Bürger wenden sich von den klassischen Formen der politischen Teilhabe ab und betrachten diese zunehmend als nicht mehr zielführend. Sie wenden sich aber dadurch nicht automatisch auch von ihren eigenen persönlichen Zielen ab, nur weil sie sich anderen Möglichkeiten zuwenden, um ihre Ziele zu erreichen.
Darauf deuten auch die Trends der Parteiaustritte und die größer werdende Anzahl der Nichtwähler hin. Die institutionalisierten Formen erscheinen den Menschen nicht mehr zeitgemäß. Es wird mehr Mitsprache gefordert, in Form von Volksentscheiden und Petitionen. Dabei wird deutlich, dass das Interesse an der Parteipolitik und an den politischen Personen sinkt, nicht aber an der Politik im Allgemeinen.
Ein subjektiver Rückblick und Ausblick in drei Teilen.
Ein Überblick über die Beiträge:
Neue Formen der politischen Partizipation (Teil 8.3) Volksentscheide
Neue Formen der politischen Partizipation (Teil 8.2) Ursache und Wirkung
Neue Formen der politischen Partizipation (Teil 8.1) Rückblick
Politische Partizipation (Teil 7) – Gestern und Heute
Wahlbeteiligung, Wähler und Nichtwähler. (Teil 6.2) Nichtwähler
Wahlbeteiligung, Wähler und Nichtwähler. (Teil 6.1) Wähler
Politisch motivierte Kriminalität (PMK) (Teil 5)
Politikverdrossenheit in Deutschland (Teil 4)
Steffen Schmidt – Politisches Interesse (bpb.de) (Teil 3)
Ergänzung zur Studie über Parteimitgliedschaften (Teil 2)
[Studie] Niedermayer – Parteimitglieder 2015 (Teil 1)
Andere Formen der Partizipation
Diese Serie über politische Partizipation hat gezeigt, dass die Beteiligung an den Wahlen zurückgeht und das die parteibezogenen Aktivitäten weniger werden (Parteiaustritte) [1]. Gewerkschaften (Ver.di) [2] und Kirchen [3] verbuchen auch weitere Austritte. Gleichzeitig gibt es Trends die zeigen, dass die Bürger an anderen Aktionen teilnehmen. Von einer Politikverdrossenheit im Allgemeinen kann schon mangels einer Definition des Begriffes nicht die Rede sein.
Der zivile Protest steigt zum Beispiel in Form von Demonstrationen immer weiter an. Bei der Stopp TTIP & Ceta Demonstrationen in Berlin am 10.10.2015 kamen etwa 250.000 Menschen. Bei der Demonstration am 23.04.2016 in Hannover waren es (nach Veranstalter Angaben) 90.000 Menschen [4] die friedlich protestierten. Und mehr als 300.000 Menschen waren am 17. September 2016 auf insgesamt sieben Demonstrationen gegen das Freihandelsabkommen unterwegs [5].
Auch der Protest gegen “Stuttgart 21” zeigt einen Trend zu mehr Interesse an Politik, ebenso wie die “Occupy-Bewegung”. Ein weiteres Beispiel sind auch die “PEGIDA” Demonstrationen in Dresden. Viele tausend Menschen kommen dort seit Oktober 2014 zusammen, um ihrer Meinung Ausdruck zu verleihen.
Die SPD hatte 2015 noch 442.814 Parteimitglieder, im Juni 2016 noch 436.000. Die CDU kommt im November 2016 auf 434.019 Mitglieder (2015: 444.400) [6].
Bei der Nichtregierungsorganisation Campact sind zurzeit “mehr als 1,7 Millionen Menschen registriert” [7], die sich an den einzelnen Kampagnen beteiligen. In Form von Online-Petitionen, Protest-E-Mails und anderen Aktionen, bietet Campact den Mitgliedern ein Beteiligungsforum. Dabei kann sich jeder aussuchen, an welchen Aktionen man teilnehmen will oder auch nicht und für welche Zwecke eine Spende gezahlt wird.
Es ist nicht notwendig einen ganzen Apparat zu unterstützen, wie beispielsweise bei einer Partei.
Moderne Partizipation
Die Proteste gegen TTIP und CETA brachten im Oktober 2015 etwa 250.000 Menschen auf die Straße die friedlich in Berlin demonstrierten. Bisher haben 1.641.177 Menschen aus Deutschland an einer Online-Petition gegen TTIP teilgenommen, in Europa insgesamt 3.507.593 (stand: Januar 2017) [8]. Bei bundesweit 1,2 Millionen Parteimitgliedern (alle Parteien), haben mehr Menschen gegen TTIP unterschrieben als es Parteimitglieder in Deutschland gibt.
Über 125.000 Menschen in Deutschland haben eine Vollmacht unterschrieben, um sich an der Verfassungsbeschwerde von “foodwatch”, “Mehr Demokratie” und “Campact” zu beteiligen, die durch den Völkerrechtler Professor Dr. Bernhard Kempen vertreten wird. Und über 50.000 haben sich der Verfassungsbeschwerde gegen die Ratifizierung des CETA-Abkommens von Marianne Grimmenstein-Balas und Professor Dr. Andreas Fisahn angeschlossen.
Wahlpflicht
Schon die Idee einer Wahlpflicht für Bürger ist ein deutliches Zeichen dafür, wie weit sich die (institutionelle) Politik und die Bürger inzwischen voneinander entfernt haben. Anstatt die Bürger durch neue Ideen und Möglichkeiten zu begeistern und an der Politik teilhaben zu lassen, sollen die Bürger gezwungen werden, die alten Formen der politischen Partizipation anzunehmen. Und dadurch natürlich auch weiterhin zu legitimieren. Die veröffentlichte Meinung (Die ZEIT) beschreibt es so:
“Internationale Erfahrungen zeigen, dass einiges dafür spricht, das Wahlrecht in eine Bürgerpflicht zu verwandeln. […] Somit wäre der Zwang zur Stimmabgabe nicht antidemokratisch, sondern ein Zugewinn an politischer Legitimität. Denn Wahlpflicht – auch das zeigt der internationale Vergleich – egalisiert die politische Beteiligung. Sie relativiert den Einfluss von Protestwählern und schmälert die Macht organisierter Interessengruppen, die an Wahlen stets überproportional teilnehmen.”
Quelle: www.zeit.de | 30. Juni 2016 | Was hilft gegen Populisten? Wahlpflicht! [9]
Gegen Populisten soll ein Wahlzwang helfen?
Auf jeden Fall ist es einfacher, Bürger unter Androhung einer Strafe (Bußgeld) ins Wahllokal zu nötigen als sie mit modernen Konzepten und Ideen zu überzeugen. Dazu müssten diese Konzepte und Ideen erst einmal vorhanden sein. An diesem Beispiel lässt sich vielleicht erkennen, wohin die Reise gehen soll. Und es ist das genaue Gegenteil von den Forderungen, die die Bevölkerung an die Politik stellt. Wahlpflicht ist kein Zugewinn an politischer Legitimität, sondern das genaue Gegenteil.
Die Symbolik, eine Ablehnung oder Protest durch Nichtwahl zum Ausdruck zu bringen, dadurch verhindern zu wollen, indem ein Wahlzwang eine Strafe androht, ist seinerseits Ausdruck eines auf dem Kopf stehenden Demokratieverständnisses.
Quellennachweise:
[1]
Prof. Dr. Oskar Niedermayer
„Parteimitglieder in Deutschland: Version 2015“
Arbeitshefte aus dem Otto-Stammer-Zentrum, Nr. 25
Berlin, Freie Universität Berlin 2015
[2]
http://de.statista.com/statistik/daten/studie/74814/umfrage/mitglieder-der-gewerkschaft-verdi-seit-2001/
[3]
https://www.destatis.de/DE/Publikationen/WirtschaftStatistik/Gastbeitraege/EntwicklungKirchenmitglieder.pdf?__blob=publicationFile
[4]
http://www.zeit.de/wirtschaft/2016-04/hannover-ttip-demonstration-barack-obama-freihandelsabkommen
[5]
http://ttip-demo.de/home/
[6]
http://www.focus.de/politik/deutschland/spd-ist-groesste-volkspartei-merkel-kurs-kostet-cdu-tausende-mitglieder-ansturm-auf-die-afd_id_6414640.html
[7]
https://de.wikipedia.org/wiki/Campact
[8]
https://stop-ttip.org/signatures-member-states/?noredirect=en_GB
https://stop-ttip.org/de/unterschriften-nach-mitgliedsstaaten/
[9]
http://www.zeit.de/politik/ausland/2016-06/wahlpflicht-australien-populismus-bevoelkerung