„Europa begeht Selbstmord.
Oder zumindest haben seine Führer beschlossen, Selbstmord zu begehen. Ob das europäische Volk dabei mitmachen will, ist natürlich eine andere Sache.
Wenn ich sage, dass Europa dabei ist, sich selbst umzubringen, dann meine ich damit nicht, dass die Last der Regulierung durch die Europäische Kommission zu erdrückend geworden ist oder dass die Europäische Menschenrechtskonvention nicht genug getan hat, um die Forderungen einer bestimmten Gemeinschaft zu erfüllen. Ich meine, dass die Zivilisation, die wir als Europa kennen, dabei ist, Selbstmord zu begehen, und dass weder Großbritannien noch irgendein anderes westeuropäisches Land diesem Schicksal entgehen kann, weil wir alle unter den gleichen Symptomen und Krankheiten zu leiden scheinen. Infolgedessen wird Europa am Ende der Lebensspanne der meisten derzeit lebenden Menschen nicht mehr Europa sein und die Völker Europas werden den einzigen Ort auf der Welt verloren haben, den wir Heimat nennen konnten.
Man mag darauf hinweisen, dass die Verkündigung des Untergangs Europas ein fester Bestandteil unserer Geschichte war und dass Europa ohne regelmäßige Vorhersagen unserer Sterblichkeit nicht Europa wäre. Doch einige waren überzeugender im Hinblick auf den Zeitpunkt als andere. In »Die Welt von Gestern«, erstmals 1942 veröffentlicht, schrieb Stefan Zweig über seinen Kontinent in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg:
»Ich fühlte, dass Europa in seinem Zustand der Umnachtung sein eigenes Todesurteil gefällt hatte – unsere heilige Heimat Europa, sowohl die Wiege als auch der Parthenon der westlichen Zivilisation«.
Eines der wenigen Dinge, die Zweig schon damals Hoffnung gaben, war, dass er in den Ländern Südamerikas, in die er schließlich geflohen war, Ableger seiner eigenen Kultur sah. In Argentinien und Brasilien erlebte er, wie eine Kultur von einem Land ins andere auswandern kann, sodass sie, auch wenn der Baum, der der Kultur das Leben gab, abgestorben ist, »neue Blüten und neue Früchte« hervorbringen kann. Selbst wenn sich Europa in diesem Moment völlig zerstört hätte, empfand Zweig den Trost, dass »das, was Generationen vor uns getan hatten, nie ganz verloren war«.“