Prof. Dr. Kim Otto und Andreas Köhler haben im Auftrag des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung eine Studie erstellt, die sich mit der “Berichterstattung deutscher Medien in der griechischen Staatsschuldenkrise” befasst.
Nachdem Anfang Mai 2016 die Studie der European School of Management and Technology (ESMT) veröffentlicht wurde, in der der Nachweis geführt wird, dass über
95 % des Geldes aus den Rettungsprogrammen für Griechenland an Banken gezahlt wurde, folgt jetzt eine weitere Studie zum Thema Griechenland.
Wissenschaft ist kein Selbstzweck.
Wissenschaft und Forschung bleiben leere hüllen, wenn sie keine Anwendung finden. Es ist also wichtig die Erkenntnisse aus der Forschung zu teilen und anderen mitzuteilen. Ein beliebtes Argument um genau dies nicht zu tun ist es, dass die Falschen davon Profitieren könnten. Wer aber sind “die Falschen”? Soll also die Berichterstattung nicht kritisch Untersucht werden, weil sonst einige Menschen sich in ihren “Lügenpresse” Vorwürfen bestätigt fühlen könnten?
Alle Untersuchungen über Fehler und falsche Entscheidungen tragen dazu bei, dass Entwicklungen verbessert werden können. Aber nur, wenn die Betreffenden es wollen und auch mitarbeiten. Leider ist die Gesamtentwicklung erschreckend. Infratest dimap hat im Dezember 2014 für das Magazin Zapp eine Umfrage durchgeführt (Vertrauen in Organe der Gewaltenteilung und Medien | Ukraine-Konflikt). 69 % der Befragten haben demnach weniger oder gar kein Vertrauen in die Medien.
Eine Analyse zur Ermittlung und Beseitigung von Fehlentwicklungen wäre ein erster, wichtiger Schritt. An den Folgen und Veränderungen kann dann abgelesen werden, wie wichtig den Medien ihre Integrität ist. Bisher allerdings wird auf Kritik oft mit einer Überheblichkeit reagiert, die der Ernsthaftigkeit der Situation nicht angemessen ist.
So heißt es in der Studie des IMK:
Insgesamt erfüllt die Berichterstattung nicht die erforderlichen Qualitätsstandards.
“Hierfür wurden 1442 Artikel mit einem Bezug zur griechischen Staatsschuldenkrise in den Medien „Die Welt“, „Bild“, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ („FAZ“), „Süddeutsche Zeitung“, „Die Tageszeitung“ („taz“) und „Spiegel Online“ zwischen dem 28. Januar 2015 und dem 30. Juni 2015 mittels quantitativer Inhaltsanalyse untersucht. Mit dieser Studie konnte gezeigt werden, dass es gemeinsame Trends in der Berichterstattung überregionaler deutscher Tageszeitungen und des Online-Portals „Spiegel Online“ zur griechischen Staatsschuldenkrise
‒aber in einigen Fragen auch erkennbare Unterschiede‒ gibt. Eine differenzierte Betrachtung der Berichterstattung ist daher dringend geboten.”
Quelle: Otto & Köhler | März 2016 | S.72
Auszüge aus dem Fazit der Studie:
4. “Im Fokus der Berichterstattung standen mit weitem Abstand griechische Akteure. Mitglieder der griechischen Regierung waren häufigster Anlass zur Berichterstattung. 58,6 Prozent der Artikelmit einem erkennbaren Berichterstattungsanlass bezogen sich auf die griechische Regierung. Zudem wurden sie am intensivsten mit Attributen adressiert. 69,3 Prozent aller in den untersuchten Artikeln kommunizierten Aussagen bezogen sich auf Ministerpräsident Alexis Tsipras oder Finanzminister Yanis Varoufakis. Sie standen erkennbar im Fokus der Berichterstattung. Auffällig war jedoch, dass sie seltener zu Wort gekommen sind als andere Akteure. Ihre Aussagen wurden in Artikeln seltener aufgegriffen und Zitate von ihnen wurden seltener eingesetzt, als bei anderen Akteuren.
Mitglieder der griechischen Regierung waren also Berichterstattungsanlass, wurden häufig genannt und es wurden häufig Aussagen über sie getroffen ‒ sie selbst kamen aber kaum zu Wort. Es wurden häufiger Aussagen über sie verbreitet, als dass ihre Aussagen verbreitet wurden.”
Quelle: Otto & Köhler | März 2016 | S.73+74
6. “Es wurde insgesamt eine mehrheitlich meinungsorientierte und wertende Berichterstattung vorgefunden. Meinungen und Wertungen wurden auf unterschiedlichen Wegen in die Berichterstattung zur griechischen Staatsschuldenkrise eingebunden: In 26 Prozent der Artikel gingen Meinungen und Wertungen direkt und offensichtlich von Journalisten aus, die die Artikel verfassten. Sie bezogen sich in den meisten Fällen auf Akteure der griechischen Regierung. In 28,4 Prozent der Fälle traf das auch auf Nachrichten zu, wodurch das Qualitätskriterium der Neutralität verletzt wurde. In 72 Prozent der Artikel wurden Wertungen von Akteuren in der Berichterstattung zu griechischen Staatsschuldenkrise weitergegeben. Auffällig war, dass sich die Texte in ihrer Positionierung teilweise an diesen Wertungen orientierten, in Abhängigkeit von deren Tonalität. Akteure wurden demnach mehrheitlich zitiert, um Wertungen der Journalisten zu stützen oder zu forcieren. Sie wurden im Sinne Hagens (1992) als „opportune Zeugen“ eingesetzt.”
Quelle: Otto & Köhler | März 2016 | S.74
8. “Über die beiden gegenüberstehenden Positionen einer angebotsorientierten und einer nachfrageorientierten Wirtschaftspolitik in der griechischen Staatsschuldenkrise und die diese Positionen vertretenden Akteure‒ die griechische und die deutsche Regierung ‒ wurde nicht gleichgewichtig berichtet. Die Berichterstattung über die zentralen Positionen und Akteure war nicht ausgewogen. Über Mitglieder der griechischen Regierung wurde mehrheitlich negativ berichtet. 50,9 Prozent der untersuchten journalistischen Artikel stellten die griechische Regierung negativ dar, nur 16.9 Prozent wiesen eine positive Wertung auf.”
Quelle: Otto & Köhler | März 2016 | S.75.
Die vollständige Studie können Sie hier herunterladen (29 Seiten).
Eine Zusammenfassung der Studie finden Sie hier (5 Seiten).
Für Telepolis führte Marcus Klöckner ein Interview mit Prof. Dr. Kim Otto.
Prof. Dr. Kim Otto und Andreas Köhler
März 2016
“Die Berichterstattung deutscher Medien in der griechischen Staatsschuldenkrise”
Studie im Auftrag des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung
http://www.heise.de/tp/artikel/48/48100/1.html